Für Eltern stellt es eine der größten Ängste dar:
Die eigene Tochter oder der eigene Sohn wird beim Überqueren der Straße oder beim Fahrradfahren angefahren und verletzt.
Natürlich stehen in diesem Moment die Gesundheit und die Versorgung der Verletzungen im Vordergrund. Wenn diese jedoch umfassend vorgenommen worden sind und das Kind sich auf dem Weg der Genesung befindet, beginnt der Papierkrieg.
Denn um den Unfall abzuwickeln und Ansprüche gegen den Schädiger und seine Haftpflichtversicherung durchzusetzen, braucht man Zeit und Geduld. Neben der „regulären“ Schadensabwicklung, zu der das Durchsetzen von Schadenersatz und Schmerzensgeld, kommen bei der Verletzung von Kindern weitere juristische Fragen auf Sie zu.
Denn Kinder werden vom Gesetzgeber besonders geschützt– nicht nur hinsichtlich des Abschlusses von Verträgen oder dem allgemeinen Jugendschutz, sondern insbesondere auch bei deliktischen Verletzungen. Bei der Auseinandersetzung mit der gegnerischen Versicherung lohnt es sich daher, zumindest die wichtigsten Faktoren bei einer Schadenregulierung von Unfällen mit Minderjährigen zu kennen.
Mitverschulden eines Kindes bei einem Unfall im Straßenverkehr
Kinder bis 10 Jahre
Bei der Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gilt: Wenn der Geschädigte selber eine Teilschuld an dem Schaden trägt, führt dies zu einer Quotelung des Schadensersatzanspruch in der Höhe des eigenen Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB).
Man spricht in diesen Fällen auch von einem „Verschulden gegen sich selbst“. Wie hoch dieser Anteil des eigenen Mitverschuldens ist, hängt von den individuellen Verursachungsbeiträgen der Beteiligten ab und muss zumeist mühsam verhandelt werden.
Bei der Verletzung eines Kindes im Straßenverkehr ist jedoch auf die modifizierten Regeln des Deliktsrechts zu achten: § 828 BGB legt die verschiedenen Altersgrenzen für eine Schuldannahme bei Minderjährigen fest. Von besonderer Bedeutung ist hierbei § 828 Abs. 1 und 2 BGB:
„Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.“
und
„Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.“
Dies bedeutet: Kinder sind vor ihrem achten Lebensjahr nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie einem Dritten einen Schaden zufügen. Wenn ein Vorfall im Straßenverkehr passiert (Beispiel: Das Kind fährt Fahrrad und schrammt dabei gegen einen Wagen), haftet das Kind sogar bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres nicht. Der Gesetzgeber geht nämlich davon aus, dass Kinder in diesen Zeitrahmen von den Risiken des fließenden Verkehrs regelmäßig überfordert sein werden. Aus diesen beiden Regelungen wird im Mitverschulden ein Umkehrschluss gebildet: Denn wenn man davon ausgeht, dass das Kind in diesen Altersspannen Dritten gegenüber nicht schuldfähig ist, dann kann es auch sich selbst gegenüber nicht schuldfähig sein. Mithin findet in solchen Fällen dann auch keine Kürzung eines Schmerzensgeldanspruches wegen Mitverschulden statt.
Kinder ab 11 Jahre
Kinder, die bereits das 10 Lebensjahr vollendet haben, sind bis zu ihrer Volljährigkeit eingeschränkt deliktsfähig. So heißt es in § 828 Abs. 3:
Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.
Ob Ihre Tochter bzw. Ihr Sohn sich eine Mitschuld anrechnen lassen muss, hängt von der Einsichtsfähigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls ab:
Entscheiden ist, ob Ihr Kind bereits die Gefahrensituation übersehen und abschätzen konnte, oder ob es an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit und den visuellen und motorischen Fähigkeiten fehlte.
In einer komplexen und dynamischen Verkehrssituation mit vielen, motorisierten Verkehrsteilnehmern wird man abhängig vom Alter annehmen können, dass Ihr Kind mit der Verkehrssituation schneller überfordert ist und die Gefahren nicht richtig einschätzen kann als im nichtmotorisierten Straßenverkehr.
Umgekehrt ist ein Mitverschulden anzunehmen, wenn die Verkehrssituation einfach zu überblicken und einzuschätzen war und auch Ihrem Kind die Gefahren bewusst gewesen sein müssten. So muss z.B. ein Neunjähriger wissen, dass beim Radfahren ein Mindestabstand von Autos einzuhalten ist, die am Straßenrand ordnungsgemäß parken.
Die rechtliche Beurteilung, ob ein Mitverschulden Ihres Kindes anzulasten ist, hängt damit maßgeblich von der individuellen Verkehrssituation und der ausdifferenzierten Rechtsprechung ab. Sollte die gegnerische Versicherung Ihrem Kind nach einem Unfall ein Mitverschulden anlasten, ist eine rechtliche Prüfung zu empfehlen.
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Aufsichtspflichtverletzung der Eltern bei einem Unfall
Den meisten Eltern ist der Begriff der Aufsichtspflicht nicht unbekannt. So regelt beispielsweise § 832 BGB, dass Eltern als Aufsichtspflichtige bei Schäden, die das Kind verursacht hat, haften müssen, selbst wenn das Kind nicht schuldfähig ist. Voraussetzung für eine Haftung ist hierbei, dass die Aufsichtspflicht verletzt wurde und das Kind einen Dritten geschädigt hat.
Doch was passiert, wenn die Aufsichtspflicht verletzt wurde und das eigene Kind hierdurch verletzt wurde?
Beispiel: Die Eltern sind während einer Autofahrt durch ein Gespräch miteinander abgelenkt. Die fünf Jahre alte Tochter schnallt sich in diesem Moment ab. Kommt es nun zu einem unverschuldeten Unfall und die Tochter wird verletzt, stellt sich die Frage, inwieweit die Aufsichtspflichtverletzung der Eltern auf einen Schmerzensgeldanspruch des Kindes gegen den Unfallverursacher auswirkt.
Grundsätzlich haften die Eltern gegenüber dem Kind nach § 1664 BGB nur, wenn sie die Sorgfalt außer Acht lassen, die sie „in eigenen Angelegenheiten“ anzuwenden pflegen. Ohne hier zu weit in die juristischen Tiefen der Probleme einer Gesamtschuld vorzudringen, gilt Folgendes:
Wenn die Eltern grob fahrlässig handeln, haften sie als Gesamtschuldner mit dem Unfallverursacher. Das Kind bekommt seinen vollen Schmerzensgeldanspruch, jedoch wird diese auf Eltern und Unfallverursacher aufgeteilt. In der Praxis bedeutet das zumeist, dass die gegnerische Versicherung nur einen anteiligen Schmerzensgeldanspruch leistet und Ihr Kind darauf verweist, den darüber hinausgehenden Anteil unmittelbar bei Ihnen als gesetzliche Vertreter zu fordern.
In Fällen der leichten Fahrlässigkeit geht man hingegen davon aus, dass nur der Unfallverursacher alleine haften muss. Die juristische Fachwelt ist zwar sich bei dieser Frage nicht ganz einig, jedoch wird in der Praxis bei leichter Fahrlässigkeit regelmäßig kein Teil des Schmerzensgeldes den Eltern auferlegt.
Schmerzensgeldhöhe bei einem Unfall mit Kind
Von besonderer Relevanz ist die Frage nach der Schmerzensgeldhöhe bei der Verletzung eines Kindes.
Grundsätzlich wird bei der Verletzung eines Kindes tendenziell immer ein höheres Schmerzensgeld als bei Erwachsenen gezahlt. Dies hat insbesondere mit der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zu tun. Gerade für Kinder sind Schmerzen häufig weniger leicht zu ertragen als für Eltern und können traumatische Folgen für das gesamte weitere Leben haben.
Wenn die Kinder dann auch noch in der Wachstumsphase sind, können sich hieraus auch weitreichende Folgen für die weitere Entwicklung ergeben. Dies gilt insbesondere bei der Narbenbildung: Eine Narbe im Kindesalter wird auch bis zum Ende des Wachstums mitwachsen. Somit können auch anfänglich kleinere Narben später weitaus größer werden und damit zu Entstellungen führen. Gerade bei einer Narbenbildung im Gesicht wird regelmäßig ein vergleichsweise hohes Schmerzensgeld zuerkannt. Das Landgericht Essen hielt beispielsweise hierzu fest:
„Das Verhältnis von Narben und Defektgröße zur Gesichtsgröße wird auch bei fortschreitendem Wachstum der Klägerin konstant bleiben. Verletzungsnarben und Wangenschwellung werden voraussichtlich bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.“(17.03.2020, 12 O 307/03)
Mit anderen Worten: Wenn das Kind wächst, wird auch die Narbe weiterwachsen. So können auch später Missempfindungen bezüglich des eigenen Aussehens entstehen, und auch eine kleine Narbe das Selbstbewusstsein nachhaltig negativ beeinflussen.
Verpflichtung als gesetzlicher Vertreter
Kinder können ihre eigenen Schmerzensgeldansprüche nach einem Verkehrsunfall nicht selber durchsetzen. Sie als Elternteil sind ihrem Kind somit dazu verpflichtet, dessen rechtliche Interessen bestmöglich wahrzunehmen.
So sollten Sie beispielsweisen nicht ungeprüft Einwilligungs- und Schweigepflichtentbindungserklärungen der gegnerischen Versicherungen unterzeichnen oder eine Abfindung ohne rechtliche Prüfung unterzeichnen. Mit derartigen Entscheidungen können Sie Ihrem Kind erhebliche Nachteile zufügen.
Fazit
Unfälle mit der Beteiligung eines Kindes sind immer besonders emotional aufgeladen. Die Gesundheit des Kindes ist in diesen Momenten Dreh- und Angelpunkt.
Bei der Durchsetzung von Schadenersatz und Schmerzensgeld sollten Sie von Beginn an rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen, um die Interessen Ihres Kindes bestmöglich wahren zu können.