Versicherung fordert Ermittlungsakte an – muss ich warten?

Unfallakte

Als wäre der gesamte Schadensregulierungsprozess mit der gegnerischen Versicherung nicht schon lang genug – plötzlich erhält man ein Schreiben der gegnerischen Versicherung, welches besagt, dass zunächst Einblicke in die Ermittlungsakte genommen werden, bevor der Schaden weiterbearbeitet wird. 

Dies ist mehr als ärgerlich, denn für Sie bedeutet das eine Verzögerung von vielen Wochen, machmal sogar Monaten. Für die gegnerische Versicherung bedeutet dies einen (vermeintlichen) positiven Zeitgewinn. Denn wenn die gegnerische Versicherung schuldhaft in Verzug mit der Schadensregulierung kommt, muss sie unter Umständen Verzugsschadenersatz leisten. 

Doch darf eine Versicherung die Auszahlung Ihres Schadenersatzes und Schmerzensgeld stoppen, um Einblicke in die Ermittlungsakte zu nehmen oder die Zahlung Ihrer Ansprüche davon abhängig machen? 

Die Antwort lautet, wie so häufig bei juristischen Fragestellungen: Es kommt drauf an.

Was wird in der Ermittlungsakte festgehalten?

Wenn nach einem Unfall oder einem anderen Vorfall die Polizei hinzugerufen wird, wird diese den Unfall aufnehmen. Die Ermittlungsakte dient aber nicht der Schadenregulierungen, sondern soll dokumentieren, ob einem der Beteiligten eine Ordnungswidrigkeit vorzuwerfen ist, oder ob sogar ein Straftatbestand erfüllt wurde. Hierfür nimmt die Polizei zunächst die Personalien auf, und notiert den jeweils dargestellten Sachverhalt. Zusätzlich können auch Umstände des Unfalls wie zum Beispiel Wetterverhältnisse bei Verkehrsunfällen notiert werden.

Auch wenn die Polizeiakte nicht der Verfolgung von zivilrechtlichen Ansprüchen wie zum Beispiel den Reparaturkosten Ihres beschädigten Fahrrads oder Autos dient, können sich in der Polizeiakte auch Informationen befinden, die für die Schadenregulierung von Belang sein können. 

Denn die Polizei versucht aufzuklären, wie der Unfall sich tatsächlich ereignet hat und vernimmt hierzu Zeugen, den Geschädigten und den Beschuldigten. Anhand dieser Aussagen und ggfs. weiterer Ermittlungen (Unfallrekonstruktion etc.) der Polizei, kann man sich im besten Fall ein umfassenderes Bild von dem Schadensfall machen, insbesondere dann, wenn die Schuld streitig sein sollte. Womit wir auch schon zu dem nächsten Punkt kommen.

Wieso will die gegnerische Versicherung überhaupt Einblicke?

In dem Schreiben der gegnerischen Versicherung wird regelmäßig nur ein Zweizeiler ohne weitere Erklärung abgedruckt sein:

„Wir haben zur Prüfung unserer Eintrittspflicht die amtliche Ermittlungsakte angefordert. Sobald uns diese vorliegt, kommen wir wieder auf Sie zu.“

Übersetzt heißt dies soviel wie: „Wir glauben, dass der Schaden auch durch Sie mitverursacht wurde. Bis zur Einsicht in die Ermittlungsakte wird es noch lange dauern, vorher werden wir nicht zahlen.

Wie oben bereits beschrieben, können sich durch die Ermittlungsakte Anhaltspunkte für die Schuldfrage ergeben. Insbesondere wenn das Verschulden des Vorfalls nicht vollständig eindeutig ist oder sich die Aussagen von Ihnen und dem Versicherungsnehmer widersprechen, kann die Ermittlungsakte bei einem Unfall zur Aufklärung dienen.

Zum Beispiel können (selten) angefertigte Fotos vom Unfallort zeigen, ob ein Vorfahrtsverstoß naheliegend ist oder ob ein Fahrradfahrer auf dem Bürgersteig anstatt auf der Straße gefahren ist.

Sie haben den Radweg nicht oder falsch benutzt ? Lesen Sie in diesem Beitrag, ob trotzdem ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht!

Die Folge, wenn sich tatsächlich ein Verschulden auch auf Ihrer Seite aus der Ermittlungsakte abzeichnet: Die gegnerische Versicherung muss nicht mehr 100 % des verursachten Schadens zahlen, sondern kann die Zahlung des Schadensersatzes auf die Quote des bei ihr Versicherten begrenzen.

Beispiel: Sie fuhren mit dem Fahrrad (verkehrswidrig) auf einem linken Fahrradstreifen. Ein Auto, dass Ihnen eigentlich hätte Vorfahrt gewähren müssen, übersieht Sie und fährt Sie an. In diesem Fall wird von der Rechtsprechung regelmäßig ein Eigenverschulden des Fahrradfahrers in Höhe von einem Drittel (also 33 %) angenommen. Die gegnerische Versicherung müsste dann nur zwei Drittel des insgesamt verursachten Schadens begleichen.

Ein weiterer Vorteil: Bis die Ermittlungsakte angefordert wurde und Einsicht genommen werden konnte, vergeht Zeit. Diese Aufschubgewährung ermöglicht es der gegnerischen Versicherung, Ihren Schaden erst Monate später zu erstatten. 

 

Muss ich darauf warten, dass die Versicherung die Ermittlungsakte eingesehen hat?

Es kommt drauf an. Unter Umständen können die Verzögerungen, die mit der Einsicht in die Ermittlungsakte einhergehen, verhindert werden. 

Der Sachverhalt ist unstreitig

Wenn der Unfallverursacher bereits eine Haftungsanerkennung unterschrieben hat, oder der Unfallhergang völlig unstreitig ist, gibt es keinen erforderlichen Grund für eine Einsicht in die Ermittlungsakte. Insbesondere muss der gegnerischen Versicherung in solchen Fällen keine Prüffristverlängerung von Ihrer Seite aus gewährt werden.

Es handelt sich in diesem Fall um eine Regulierungsverzögerung, die dazu führt, dass sich das Ihnen zustehende Schmerzensgeld erhöht und Sie die gegnerische Versicherung verklagen können.

Konkrete Einwände verlangen und mithelfen

Die gegnerische Versicherung darf nicht die Weiterführung der Schadenregulierung unter einem pauschalen Hinweis auf die Ermittlungsakte verweigern.

Die Einsichtnahme in die Ermittlungsakte ist kein Reflex um ins Blaue hinein prüfen zu können, ob sich nicht doch noch Umstände auftun, die zu einer Zahlungsverweigerung führen könnten.

Vielmehr muss sie vor bzw. mit Anforderung der Ermittlungsakte substantiiert darlegen, welcher konkreter, haftungsrelevanter Umstand aufgeklärt werden soll bzw. muss.

Dass die gegnerische Versicherung deutlich machen muss, welche Angaben und Unterlagen sie zur weiteren Schadensregulierung benötigt, wird auch durch die Rechtsprechung in Deutschland so gefordert. (OLG Schleswig Beschluss vom 30.05.2016 – 7 W 15/16).

Die Anforderung der Ermittlungsakte kann eine Verzögerungstaktik darstellen. Häufig hilft es jedoch, wenn der Grund für die Anforderung der Ermittlungsakte feststeht, an der Aufklärung aktiv mitzuwirken und z.B. Fotos der Unfallstelle zu machen und zu übersenden, Zeugenaussagen selbst anzufordern und einzureichen und so die Einsichtnahme in die Ermittlungsakte obsolet werden zu lassen. Denn zwischen Anforderung und Erhalt der Ermittlungsakte vergehen im Schnitt vier bis sechs Wochen. Manchmal kann sich die Wartezeit auch über drei Monate erstrecken.

Wenn Sie unsicher sind, wie Sie am besten vorgehen sollten, können Sie uns jederzeit gerne kostenfrei kontaktieren. 

Ablauf der Prüffrist

Grundsätzlich wird den Haftpflichtversicherungen eine gewisse Frist zur Regulierung des Schadens gewährt. Je nach Gericht wurden dabei Zeiträume von vier bis sechs Wochen für angemessen gehalten. 

Das Entscheidende bei der Anforderung der Ermittlungsakte: diese Frist verlängert sich nicht!

So urteilte das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Beschluss aus dem Jahr 2013 eindeutig:

Ein Verzug der Haftpflichtversicherung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von 6 Wochen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese bis zu jenem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten hat nehmen können. Denn der Haftpflichtversicherer kann sich über seinen Versicherungsnehmer bzw. evtl. mitversicherte Personen über den Sachverhalt unterrichten. Die Entscheidung der Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist grundsätzlich nicht geboten bzw. erforderlich, zumal mit einer Akteneinsicht erfahrungsgemäß oft erst nach Monaten zu rechnen ist und ein entsprechendes Zuwarten den berechtigten Interessen des Geschädigten an einer raschen Regulierung zuwiderlaufen würde (OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009, 7 U 499/09, zitiert nach Juris-Rn. 15; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.09.2013 – 3 W 46/13

Der Ablauf der Prüffrist bedeutet jedoch erst einmal nur, dass Sie die Versicherung in Verzug setzen können, dadurch Zinsen als Verzugsschaden erhalten und die Versicherung verklagen können, ohne Sorge haben zu müssen, auf den Prozesskosten nur deshalb sitzen zu bleiben, weil Sie zu früh geklagt haben. 

Zusammenfassung

Die gegnerische Versicherung hat zwar das gute Recht, Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen. Hierbei darf sie aber nicht pauschal eine weitere Schadenregulierung verweigern, ansonsten läuft die Bearbeitungsfrist des Schadensfalls weiter und am Ende kann ein Verzögerungsschaden gegen die gegnerische Versicherung durchgesetzt werden. Nur wenn die gegnerische Versicherung deutlich machen kann, wieso sie zwingend auf die Einsicht in die Ermittlungsakte warten muss, müssen Sie unter Umständen die Verzögerung der Schadenregulierung akzeptieren. 

Gleichzeitig sollten Sie versuchen, die Aspekte, für die die Versicherung die Ermittlungsakte berechtigt einsehen möchte, proaktiv aufzuklären und Fotos, Zeugenaussagen etc. einzureichen, um so schneller zu Ihrem Schadenersatz bzw. Schmerzensgeld zu gelangen. 

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