Nach einem Verkehrsunfall sitzt der Schock erstmal tief. Die meisten Unfallbeteiligten sind bereits froh, wenn sie den Unfallort auf zwei Beinen verlassen können, und nicht direkt in ein Krankenhaus gefahren werden müssen.
Wenn das Adrenalin sich wieder auf einen normalen Wert herabgesenkt hat, fallen dann plötzlich Schmerzen auf, die vorher noch nicht spürbar waren. Hierzu gehören insbesondere Kopf- sowie Nackenschmerzen. Doch muss man dann, Stunden oder Tage nach dem Unfall, noch einen Arzt aufsuchen?
Die Antwort auf diese Frage lautet „ja.“ Warum ein Gang zum Arzt unausweichlich ist, erklären wir Ihnen im Folgenden.
Verdacht einer HWS-Distorsion
Nackenschmerzens nach einem Unfall lassen den Verdacht einer HWS-Distorsion aufkommen. Hierunter versteht man eine Zerrung der Halswirbelsäule, auch Peitschenschlagsyndrom genannt. Durch die Ruckartige Bewegung bei einem Aufprall mit höherer Geschwindigkeit wird der Kopf nach vorne und hinten geschleudert. Hierbei können die Sehnen, Gelenke und Muskeln, die den Kopf und Hals schützen und stützen, gezerrt werden.
Folge sind Nackenschmerzen, aber auch Kopfschmerzen, sowie Desorientierung oder Übelkeit. Unter Umständen muss eine Nackenkrause zur Stabilisierung getragen werden. Damit eine HWS-Distorsion richtig behandelt wird, und es zu keiner Verschleppung der Symptome kommt, ist ein Gang zum Arzt unausweichlich. In manchen Fällen müssen Sie für eine Zeit lang auch auf Arbeit verzichten und benötigen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Schmerzensgeld für eine HWS-Distorsion
Wenn Sie durch einen Unfall verletzt worden sind, steht Ihnen unter Umständen ein Schmerzensgeld zu. Hierfür müssen Sie beweisen, dass Sie durch den Unfall in Ihrer Gesundheit geschädigt worden sind. Im Regelfall genügt es für einen solchen Nachweis nicht, dass sie nur behaupten, Kopfschmerzen oder Nackenschmerzen zu haben. Sie müssen vielmehr Bilder oder Arztberichte vorbringen, die die Verletzung auch darlegen. Bei einem Hämatom oder einer Bissverletzung durch ein Tier kann selber ein Foto gemacht werden.
Bei „unsichtbaren“ Verletzungen, die aber durch Röntgen, MRT oder sonstige Diagnostik festgestellt werden können, muss ein Arzt konsultiert werden.
Der gerichtsfeste Beweis einer HWS-Distorsion und die Geltendmachung des daraus resultierenden Schmerzensgeldanspruchs stellt eine der größten juristischen Herausforderungen dar.
Der Arzt, der Sie untersucht, ist in erste Linie therapeutisch tätig und möchte eine möglichst baldige Schmerzlinderung erreichen. Dabei ist es auch ausreichend, dass er auf Ihre subjektive Darstellung der Beschwerden weitere Behandlungsmaßnahmen hin einleitet.
Für das Schmerzensgeld ist jedoch entscheidend, dass die Verletzungen objektivierbar sind, also durch ärztlich-gutachterliche Feststellungen dokumentiert sind. Deshalb ist es nicht ausreichend, wenn der Arzt nur auf Ihre Symptomdarstellung vertraut. Er muss vielmehr eigene Untersuchungen anstellen und diese genau dokumentieren (AG Biedenkopf zfs 1998, 375; a.A. AG Hanau zfs 1998, 376).
Für eine HWS-Distorsion werden je nach Schwere der Zerrung Schmerzensgeld in Höhen von 150,00 € bis 700,00 € gezahlt.
Das Kammergericht hat zum Beispiel mit Urteil vom 09.10.2008, Az. 12 U 173/08, entschieden, dass im Falle einer erstgradigen HWS-Distorsion mit weiteren, relativ geringfügigen Verletzungen regelmäßig ein Schmerzensgeld von 1.000,00 € pro Monat angemessen ist, soweit die Erwerbsunfähigkeit mindestens 50% beträgt.
Spätfolgen einer HWS-Distorsion
Selbst wenn Ihnen die Verletzung zu gering erscheint, als dass Sie einen Arzt dafür aufsuchen müssen, können die Beschwerde allein schon durch ihre Dauer zu einer erheblichen Beeinträchtigung in Ihrem Alltagsleben führen. Unter dem sogenannten „Late-Whiplash-Syndrom“ versteht man, dass die Beschwerden nach einer HWS Distorsion nicht nur anhalten, sondern auch neue Symptome hinzukommen können.
Dazu gehören neben
- dauerhaften Gleichgewichtsstörungen auch ein
- Tinnitus oder
- Konzentrationsstörungen.
Nur wenn nach dem Unfall ein Arzt aufgesucht wurde, kann dies mit einer damaligen HWS-Distorsion in Verbindung gebracht werden, und Heilungsmaßnahmen hieran angepasst werden.
Exkurs: Gesundheitsdaten und Versicherungen
Innerhalb des Regulierungsprozesses wird die gegnerische Versicherung unter Umständen Einsicht in Ihre Krankenakte oder andere medizinische Unterlagen haben wollen. Wir möchten Sie ausdrücklich darauf hinweisen, eine entsprechende Einwilligung nur nach juristischer Überprüfung zu erteilen! Die empfindlichen Gesundheitsdaten sollen nicht nur aus Gründen des Datenschutzes unter Verschluss gehalten werden. Die gegnerische Versicherung wird hierdurch auch nur versuchen, die Nackenschmerzen oder andere Folgesymptome einer HWS-Distorsion mit anderen Angaben in Ihrer Akte in Verbindung zu bringen, um somit einer Haftung zu entgehen. Sie sind nicht verpflichtet, in die Einsicht in Ihre Krankenakte einzuwilligen.
Fazit
Sie sollten bei jeder Verletzung nach einem Verkehrsunfall den Arzt aufsuchen, selbst wenn Sie diese für nur geringfügig erachten. Denn auch auf den ersten Blick geringfügige Verletzungen können schwerwiegende Folgen haben. Des Weiteren wird eine Durchsetzung eines Schmerzensgeldes ohne entsprechenden Arztbericht nicht nur erschwert, sondern kann sogar unmöglich werden.