Wieso kürzt Versicherung das Gutachten?
Nach einem Verkehrsunfall mit einem nicht unwesentlichen Sachschaden am Auto, Motorradoder Fahrrad (typischerweise über 1.000,00 €) hat jeder Geschädigte grundsätzlich das Recht, einen eigenen Gutachter mit der Untersuchung des eigenen Wagens zu beauftragen.
Zwar wird in den meisten Fällen die gegnerische Versicherung einen „hauseigenen“ Gutachter anbieten, jedoch lohnt es sich, einen unabhängigen Spezialisten zu beauftragen.
Der Gutachter wird den Wagen aufmerksam untersuchen, Bilder vom Schaden anfertigen und dann berechnen, was eine fachgerechte Reparatur kosten wird, ob ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt oder ob ein merkantiler Minderwert durch den Unfall verursacht wurde. Dieses Gutachten wird dann im nächsten Schritt von Ihnen an die gegnerische Versicherung gesandt. Diese überprüft das Gutachten und zahlt dann die Kosten gemäß Gutachten aus- wenn alles glatt läuft!
Denn manche Unfallgeschädigten sind überrascht, wenn die Versicherung plötzlich nur ein Teil des Schadenersatzes, der im Gutachten angegebene ist, begleichen will oder durch einen Prüfbericht von ControlExpert kürzt.
Doch was steckt dahinter?
Differenzierung zwischen tatsächlicher Reparatur und fiktiver Reparatur
Grundsätzlich gilt, dass die gegnerische Versicherung Sie so zu stellen hat, wie Sie stünden, wenn der Schadensfall nicht eingetreten wäre. Dies bedeutet, dass die gegnerische Versicherung alle Reparaturkosten, wenn diese erforderlich sind, zu übernehmen hat. In Deutschland gibt es jedoch auch die lange Tradition der fiktiven Reparatur:
Anstelle das Auto, Fahrrad oder Motorrad reparieren zu lassen, kann der Geschädigte sich die Kosten der Reparatur auch auszahlen lassen, den Schaden dann selber oder günstiger reparieren lassen und den überschüssigen Teil der Zahlung einbehalten. Dies nennt man fiktive Abrechnung.
Doch aufgepasst! Nicht alle Schadenspositionen, die auf dem Gutachten auftauchen, werden dann auch in der fiktiven Abrechnung gezahlt.
Mehrwertsteuer nur wenn sie anfällt
Die Mehrwertsteuer als Schaden fällt grundsätzlich nur an, wenn tatsächlich repariert wird. Daher gilt nach § 249 Abs. 2 BGB:
„Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.“
Die gegnerische Versicherung ist somit bei der fiktiven Abrechnung (oder wenn Sie steuervorabzugsberechtigt sind) in der Lage, die Mehrwertsteuer rechtmäßig nicht als Schaden zu ersetzen.
Nutzungsausfall bei fiktiver Abrechnung
Während der Reparatur und – je nach Schadenumfang – auch bis zur Reparatur können Sie Ihr Auto nicht nutzen. Für diesen Zeitraum kann dann (auf Kosten der gegnerischen Versicherung) grundsätzlich ein Mietwagen genutzt werden.
Wenn Sie als Geschädigter auf den Mietwagen verzichten, können Sie den Nutzungsausfall Ihres Wagens geltend machen, und sich auszahlen lassen. Doch was ist, wenn Ihr Wagen gar nicht in der Reparatur einer Werkstatt ist- können Sie dann trotzdem einen Nutzungsausfall geltend machen?
Wie so häufig lautet die Antwort auf eine juristische Frage auch hier: Es kommt darauf an. Wenn Sie den Wagen gar nicht reparieren lassen, sondern beispielsweise mit der Beule einfach weiterfahren, steht Ihnen kein Nutzungsausfall zu. Sollten Sie den Wagen selber für weniger Geld reparieren, hat die Rechtsprechung entschieden, dass Sie einen Nutzungsausfall geltend machen können. (vgl. OLG Düsseldorf, 25.04.2005, Az.: I -1 U 210/04; OLG München, 13.09.2013, Az.: 10 U 859/13)
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An „günstigere“ Werkstatt verwiesen
Teil der fiktiven Abrechnung auf Gutachtengrundlage ist auch die Arbeitskraft der (fiktiv) beauftragten Werkstatt. Dabei gehen Gutachter regelmäßig von markengebundenen Werkstätten aus. Auch diese fiktiven Lohnkosten sind grundsätzlich ersatzfähig- in manchen Fällen verweist die Versicherung aber an eine günstigere Werkstatt und berechnet die im Gutachten angenommenen Arbeitsstunden nach den Preisen der günstigen Werkstatt anstelle der markengebundenen Werkstatt.
Grundsätzlich ist es der gegnerischen Versicherung erlaubt, in Hinblick auf die „Schadensminderungspflicht“ des Geschädigten an eine günstige, nicht markengebundene Werkstatt zu verweisen. Dies gilt auch innerhalb der fiktiven Abrechnung. Dafür muss die andere Werkstatt dem Geschädigten auch „zumutbar“ sein. Unter welchen Gesichtspunkten so ein Verweis „zumutbar“ beziehungsweise unzumutbar ist, wurde durch den BGH höchstrichterlich geklärt. Dabei wurde auch ausdrücklich festgehalten, dass diese Maßstäbe auch für die fiktive Abrechnung gelten.
1. Die günstigere Werkstatt muss die gleiche Qualitätsarbeit wie eine markengebundene Werkstatt liefern
Die gegnerische Versicherung muss grundsätzlich nachweisen, dass die Reparatur in der günstigeren Werkstatt auch der Reparatur einer markengebundenen Werkstatt entspricht. Anhaltspunkte hierfür können Mitgliedschaften in Kfz-Verbänden o.ä. sein.
2. Das Fahrzeug ist nicht älter als drei Jahre
Innerhalb der ersten drei Jahre eines Wagens ist eine Verweisung an eine nicht-markengebundene Werkstatt grundsätzlich unzumutbar. Denn die Garantie des Herstellers erlöscht, wenn der Wagen nicht in einer markengebundenen Werkstatt repariert wird. Auch der Verweis, dass die günstige Werkstatt Garantien bietet, ist insoweit unbeachtlich.
3. Das Fahrzeug ist zwar älter als drei Jahre, aber bisher immer nur in einer markengebundenen Werkstatt zur Inspektion gewesen
Der BGH ging davon aus, dass ein lückenlos scheckheftgepflegter Wagen, dessen Inspektion immer in einer markengebundenen Werkstatt stattgefunden hat, einen höheren Wert hat, als wenn die Inspektion unregelmäßig und/oder in nicht-markengebundenen Werkstätten stattgefunden hat. Daher kann auch in Ausnahmefällen, in denen der Wagen älter als drei Jahre ist, eine Verweisung an eine freie Werkstatt unzumutbar sein.
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UPE-Aufschläge im Gutachten
Wenn Ersatzteilaufschläge im Gutachten beziffert worden sind, werden dieser unter Umständen von der gegnerischen Versicherung mit der Aussage verweigert, dass diese gar nicht angefallen seien, da ohne Reparatur ja auch keine Ersatzteile bestellt worden seien. Der BGH entschied jedoch, dass
„sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Ersatzteilkosten einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.“ (BGH, Urteil vom 25. September 2018 – VI ZR 65/18 –).
Verbringungskosten und Kosten der Beillackierung
Mit den gleichen Argumenten, wie der Nutzungsausfall und die UPE-Aufschläge, wird auch hinsichtlich der Verbringungskosten und der Kosten der Beillackierung entschieden. Verbingungskosten sind dabei die Transportkosten an die entsprechenden Werkstätte, während die Beillackierungskosten anfallen, wenn damit zurechnen ist, dass die Lackfarbe an beschädigten und unbeschädigten Teil mit Mehrarbeitsaufwand angeglichen werden muss. Wenn die (fiktive) markengebundene Werkstatt diese Kosten erheben würde, und eine günstigere Werkstatt nicht zumutbar ist, kann die gegnerische Versicherung diese beiden Schadenspositionen nicht verweigern.
Die 130 % Rechtsprechung
Wenn die Reparaturkosten den Zeitwert (Wiederbeschaffungswert) übersteigen, die Reparaturkosten aber nicht mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes betragen, erlaubt die Rechtsprechung dem Halter des Wagens, aufgrund seines Integritätsinteresses an dem Unfallwagen diesen auf Kosten des Schädigers reparieren zu lassen. Dies gilt ausdrücklich nur für tatsächliche Reparaturen, nicht bei fiktiver Abrechnung. Denn wenn der Wagen nicht repariert wird, kann auch das Integritätsinteresse nicht berührt werden.
Fazit
Gerade wenn man, anstelle den Wagen tatsächlich zu reparieren, die fiktive Abrechnung wählt, kann die gegnerische Versicherung versuchen, weniger zu zahlen als ein entsprechendes Gutachten angibt. Es lohnt sich immer, die Angaben der gegnerischen Versicherung kritisch zu betrachten, um ungerechtfertigten Kürzungen entgegenzutreten.
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