BGB § 199 a. F.Die Anwendbarkeit des § 199 BGB a. F. ist nach dessen Sinn und Zweck auf die Fälle zu beschränken, in denen allein dem Gläubiger ein Kündigungsrecht zusteht. § 199 BGB a. F. ist daher auf ein beiderseits kündbares Sparkonto nicht anzuwenden.
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Müller und Dr. Wassermann für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. September 2001 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt als Alleinerbin ihres im März 2000 verstorbenen Vaters die beklagte Bank auf Auskunft über die Zinsen eines Sparguthabens in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Vater der Klägerin eröffnete im Mai 1959 bei einer Filiale der Beklagten ein Sparkonto mit gesetzlicher Kündigungsfrist. Für die Zeit bis zum 10. Juli 1962 enthält das – nicht entwertete – Sparbuch eine Vielzahl von Eintragungen für Ein- und Auszahlungen sowie Zinsgutschriften. In der letzten Zeile der letzten Doppelseite des Sparbuchs ist ein Betrag von 3.950,74 DM eingetragen. Davor befindet sich das vorgedruckte Wort „Übertrag“, das das Sparbuch auf jeder Doppelseite in der ersten und letzten Zeile enthält.
Die Beklagte hat die Auszahlung des unter dem 10. Juli 1962 ausgewiesenen Guthabens verweigert, da davon auszugehen sei, daß es in ein neues Sparbuch übertragen und dann später an den Vater der Klägerin zurückgezahlt worden sei. Es sei lediglich versehentlich versäumt worden, das alte Sparbuch durch Lochen zu entwerten. Die Beklagte hat ferner die Einrede der Verjährung erhoben und sich auf Verwirkung berufen.
Die Klägerin hat im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft darüber begehrt, mit welchen Zinssätzen ein Sparguthaben bei der Beklagten nach den jeweils zugrunde liegenden Geschäftsbedingungen in der Zeit vom 10. Juli 1962 bis zum 16. März 2000 zu verzinsen war. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte zur Auskunftserteilung verurteilt. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, daß die Beklagte ihr die Zinsentwicklung für das streitbefangene Sparbuch darlege. Als Kreditinstitut trage die Beklagte die Beweislast für die Erfüllung der Spareinlagenforderung bzw. dafür, daß sich das Guthaben verringert habe oder das Konto aufgelöst worden sei. Auch im Hinblick auf den beträchtlichen Zeitablauf sowie den Umstand, daß die Beklagte das Sparkonto in ihren Büchern nicht mehr führe, sei eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Bankkunden nicht geboten. Die besonderen Umstände des Falles rechtfertigten nicht die Annahme, das Guthaben des Vaters der Klägerin vom 10. Juli 1962 habe in der Folgezeit nicht fortbestanden. Angesichts der regelmäßigen Kontobewegungen erscheine es zwar plausibel, daß der Vater der Klägerin mit diesem Guthaben ein neues Buch habe anlegen lassen und seine Sparbemühungen fortgesetzt habe. Wenn sich aber keinerlei Feststellungen dazu treffen ließen, was aus dem am 10. Juli 1962 ausgewiesenen Guthaben geworden sei, müsse der formale Aspekt den Ausschlag geben, daß die Klägerin eine nicht entwertete Urkunde über den Bestand der Forderung in Händen halte.
Diese Guthabenforderung sei nicht verjährt. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren beginne, wenn der Kunde oder die Bank den Sparvertrag gekündigt habe, und nicht bereits mit dem Zeitpunkt, von welchem an die Kündigung zulässig gewesen wäre. Die Vorschrift des § 199 BGB sei nach ihrem Wortlaut und auch nach ihrem Sinn und Zweck nicht anwendbar. Wenn beide Seiten ein Kündigungsrecht hätten, liege es nicht allein in der Hand des Gläubigers, durch Unterlassen der Kündigung die Verjährung zu verhindern. Eine entsprechende Anwendung des § 199BGB im Falle zweiseitiger Kündigungsmöglichkeiten würde den von § 198 BGB bezweckten Schutz des Gläubigers unterlaufen.
Die Ansprüche der Klägerin aus dem Sparvertrag seien auch nicht verwirkt, da das bloße Unterlassen des Berechtigten noch keinen Vertrauenstatbestand für die Bank schaffe, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Zudem sei die Beklagte nicht schutzwürdig, weil sie die Verschlechterung ihrer Beweisposition selbst herbeigeführt habe.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
1. Zu Unrecht ist die Revision der Auffassung, da das Sparbuch an letzter Stelle keinen Endsaldo, sondern einen „Übertrag“ von 3.950,74 DM ausweise, könne nicht angenommen werden, daß es den Beweis für den Fortbestand der Spareinlage erbringe. Auszugehen ist vielmehr von der allgemeinen zivilprozessualen Verteilung der Beweislast, wonach der Sparer die Höhe des Guthabens, das Kreditinstitut hingegen die Auszahlung zu beweisen hat (Gößmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 71 Rdn. 33). Hier hat das Berufungsgericht aufgrund der Eintragung vom 10. Juli 1962 angenommen, daß dem Vater der Klägerin an diesem Tag ein Guthaben von 3.950,74 DM zugestanden habe. Das ist bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil die Höhe dieses Guthabens zwischen den Parteien unstreitig ist.
a) Hiervon zu trennen ist jedoch die zwischen den Parteien streitige Frage, ob dieses Guthaben auf ein neues Sparbuch übertragen worden und später ausgezahlt worden ist. Daß das Berufungsgericht nicht die Überzeugung von einer Übertragung des Guthabens auf ein neues Sparbuch gewonnen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen den Rügen der Revision hat das Berufungsgericht insbesondere den Beweiswert des Sparbuchs als Privaturkunde nicht verkannt. Aus der letzten Zeile der letzten Doppelseite des Sparbuchs, die lautet „Übertrag 3.950,74 DM“, mußte es nicht den Schluß ziehen, daß es zu einer Übertragung dieses Saldos auf ein neues Sparbuch gekommen ist. § 416 ZPO gelangt hier bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil die Unterschrift eines Mitarbeiters der Beklagten für die Eintragung vom 10. Juli 1962 sich nicht unterhalb der letzten Zeile befindet, sondern in Höhe der vorletzten Zeile rechts neben dem Auszahlungsbetrag von 100 DM. Wie der Senat bereits entschieden hat, stellen jedoch weder eine „Oberschrift“ (BGHZ 113, 48, 51 ff.) noch eine „Nebenschrift“ (Urteil vom 21. Januar 1992 – XI ZR 71/91, WM 1992, 626, 627) eine Unterschrift im Sinne der §§ 416 und 440 Abs. 2 ZPO dar.
b) Im übrigen besagt der auf der letzten Zeile der letzten Doppelseite hinter dem vorgedruckten Wort „Übertrag“ vorgenommene Eintrag allenfalls, daß dieser Saldo zu übertragen ist. Anders als dem entsprechenden Eintrag in der jeweils ersten Zeile jeder Doppelseite kann man ihm nicht entnehmen, daß ein Übertrag bereits stattgefunden hat. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre noch nicht der Beweis dafür erbracht, daß eine solche Übertragung des Saldos tatsächlich stattgefunden hat. Nach § 416 ZPO begründet die Urkunde nur in formeller Hinsicht den vollen Beweis dafür, daß die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben sind. Die Beweisregel erstreckt sich dagegen nicht auf den materiellen Inhalt der beurkundeten Erklärungen, also darauf, daß die in der Privaturkunde bestätigten tatsächlichen Vorgänge wirklich so geschehen sind (BGH, Urteil vom 11. Mai 1989 – III ZR 2/88, NJW-RR 1989, 1323, 1324; Musielak/Huber, ZPO 3. Aufl. § 416 Rdn. 4; Zöller/Geimer, ZPO 23. Aufl. § 416 Rdn. 9). Diese Frage unterliegt vielmehr der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung (BGH, Urteil vom 24. Juni 1993 – IX ZR 96/92, NJW-RR 1993, 1379, 1380 m. w. Nachw.).
c) Eine Beweislastumkehr im Hinblick auf die lange Zeit seit der letzten Sparbucheintragung hat das Berufungsgericht zu Recht nicht angenommen (vgl. Gößmann, aaO Rdn. 36). Sie kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin das nicht entwertete Sparbuch in Händen hat und keine Umstände dargetan oder ersichtlich sind, die darauf schließen lassen, die Beklagte sei aus Gründen, die der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Vaters zuzurechnen sind, an der Entwertung gehindert gewesen. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß ein Sparkonto aufgelöst sei oder kein Guthaben mehr aufweise, wenn der Inhaber des Sparbuchs über Jahrzehnte keine Eintragungen vornehmen läßt (BGH, Beschluß vom 21. September 1989 – III ZR 55/89, NJW-RR 1989, 1518). Der Ablauf der handelsrechtlichen Aufbewahrungsfrist rechtfertigt für sich genommen eine Umkehr der Beweislast ebenfalls nicht (OLG Frankfurt NJW 1998, 997, 998 f.; Arendts/Teuber MDR 2001, 546, 550).
d) Die Würdigung des Berufungsgerichtes, angesichts der regelmäßigen Kontobewegungen erscheine es zwar plausibel, daß der Vater der Klägerin mit dem am Ende des Sparbuchs ausgewiesenen Guthaben ein neues Buch habe anlegen lassen und seine Sparbemühungen fortgesetzt habe, gleichwohl sei angesichts des Umstands, daß die Klägerin ein nicht entwertetes Sparbuch in Händen halte, eine Übertragung des Guthabens in ein neues Sparbuch oder ein Erlöschen der Forderung nicht bewiesen, läßt revisionsrechtlich beachtliche Fehler nicht erkennen. Die Beweiswürdigung des Tatrichters kann nur daraufhin nachgeprüft werden, ob sie in sich widersprüchlich ist, den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwider läuft, Teile des Beweisergebnisses ungewürdigt läßt oder Verfahrensvorschriften verletzt. Derartige Fehler werden von der Revision nicht aufgezeigt und sind nicht erkennbar.
2. Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, § 199 BGB a. F. sei nur anwendbar, wenn ausschließlich der Gläubiger ein Kündigungsrecht hat, ist zutreffend. Da im vorliegenden Fall sowohl die Klägerin und ihr Rechtsvorgänger auf der Gläubigerseite als auch die Beklagte als Schuldnerin des Sparguthabens jeweils ein eigenes Kündigungsrecht hatten, begann die Verjährung des Auszahlungsanspruchs frühestens mit der von der Klägerin am 16. März 2000 erklärten Kündigung.
a) Nach § 198 Satz 1 BGB a. F. beginnt die Verjährung, die hier nach § 195 BGB a. F. 30 Jahre beträgt, mit der Entstehung des Anspruchs, d. h. in dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann (BGHZ 55, 340, 341; 73, 363, 365; 79, 176, 177 f.; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1999 – V ZR 448/98, WM 2000, 536, 537). Diesen Beginn kann der Gläubiger in Fällen beeinflussen, in denen die Fälligkeit des Anspruchs von einer zu seinen Gunsten vereinbarten Potestativbedingung oder von vereinbarter Rechnungsstellung abhängt (vgl. BGHZ 53, 222, 225; 55, 340, 341; BGH, Urteil vom 28. September 1989 – VII ZR 298/88, WM 1990, 73, 74; van Gelder WuB I C 2.-1. 98).
Diese Möglichkeit hat er dagegen nicht in dem in § 199 BGB geregelten Sonderfall. Hier wird der Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt vorverlegt, in dem erstmalig die Möglichkeit zur Kündigung bestand. Der Gläubiger soll es nicht durch die in seinem Belieben stehende Nichtausübung des Gestaltungsrechts in der Hand haben, den Beginn der Verjährung zum Nachteil des Schuldners willkürlich hinauszuschieben (Soergel/Niedenführ, BGB 13. Aufl. § 199 Rdn. 1; MünchKomm/Grothe, BGB 4. Aufl. § 199 Rdn. 1; BGB-RGRK/Johannsen, 12. Aufl. § 199 Rdn. 1). Hat aber auch der Schuldner die Möglichkeit, durch Kündigung die Fälligkeit seiner Schuld herbeizuführen, hängt der Beginn der Verjährung nicht mehr allein vom bloßen Belieben des Gläubigers ab. Die Anwendbarkeit des § 199BGB a. F. ist deshalb nach dessen Sinn und Zweck auf die Fälle zu beschränken, in denen allein dem Gläubiger ein Kündigungsrecht zusteht (OLG Schleswig WM 1998, 1578, 1580; LG Lübeck WM 1996, 717, 718; MünchKomm/Grothe, aaO § 199 Rdn. 4; van Gelder aaO; v. Feldmann WuB I C 2.-4. 96; Palandt/Heinrichs, BGB 61. Aufl. §§ 199, 200 Rdn. 3; Nobbe, Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung Rdn. 445; Krüger VuR 1998, 336, 337; a. A. LG Bonn WM 1995, 2139, 2140; LG München I WM 1999, 40, 41; Arendts/Teuber MDR 2001, 546, 548). § 199 BGB a. F. ist daher auf ein beiderseits kündbares Sparkonto nicht anzuwenden.
b) Daran ändert entgegen der Ansicht der Revision auch der Umstand nichts, daß von Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist nach § 22 Abs. 1 Satz 2 KWG a. F. bis zu 1.000 DM, später sogar 2.000 DM ohne Kündigung durch den Gläubiger zurückgefordert werden konnten. Das für den Ausschluß des § 199BGB a. F. maßgebliche Kündigungsrecht der Beklagten wurde dadurch nicht berührt.
c) Die Forderung der Klägerin ist auch insoweit nicht verjährt, als sie Zinsen betrifft, die an sich gemäß § 197 BGB a. F. jeweils nach Ablauf von vier Jahren verjähren. Im Sparverkehr werden Zinsen grundsätzlich zum Ende eines Kalenderjahres gutgeschrieben und, soweit der Sparer darüber nicht innerhalb der vereinbarten Frist verfügt, der Spareinlage zugerechnet mit der Folge, daß sie der dafür geltenden Kündigungsregelung unterliegen (vgl. jetzt Nr. 2, 3 Abs. 2 der Bedingungen für den Sparverkehr). Maßgebend ist dabei nicht die tatsächliche Gutschrift, sondern das Datum der Wertstellung (Gößmann, aaO Rdn. 90). Die im Sparguthaben der Klägerin enthaltenen Zinsen unterliegen deshalb derselben Verjährung wie das übrige angesparte Kapital (OLG Frankfurt NJW 1998, 997, 999; Welter WM 1987, 1117, 1122).
3. Zu Recht hat das Berufungsgericht den geltend gemachten Anspruch auch nicht als verwirkt angesehen. Ein Recht ist verwirkt, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird. Dieser Tatbestand des Verstoßes gegen Treu und Glauben liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann vor, wenn zu dem Zeitablauf besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die bei objektiver Betrachtungsweise das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGHZ 105, 290, 298, m. w. Nachw.). Die bloße – auch langwährende – Untätigkeit des Berechtigten als solche schafft noch keinen Vertrauenstatbestand für die Bank, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (OLG Schleswig WM 1998, 1578, 1580). Der Umstand, daß die handelsrechtliche Aufbewahrungsfrist längst abgelaufen und die Beklagte nicht mehr im Besitz von Kontounterlagen für das hier in Rede stehende Sparkonto ist, ändert daran nichts (vgl. Arendts/Teuber MDR 2001, 546, 550).
4. Dem sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebenden Auskunftsanspruch der Klägerin kann die Beklagte schließlich nicht entgegenhalten, daß sich die Klägerin über die Höhe der zu zahlenden Zinsen anhand des ersatzweise ausgestellten Sparbuchs informieren könne. Wie bereits dargelegt, ist nicht davon auszugehen, daß es hier zu einer Ausstellung eines Nachfolgesparbuchs gekommen ist.
III. Die Revision der Beklagten konnte danach keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.