VINQO gewinnt gegen R+V vor dem AG Wiesbaden

Urteil Gericht

Die Verbraucherplattform VINQO hat ein weiteres Urteil zur Kostenfreistellung zugunsten geschädigter Verbraucher erwirkt. Das Amtsgericht Wiesbaden sprach mit Urteil vom 25.08.2021 – 93 C 603/21 (31) – die Rechtsverfolgungskosten in voller Höhe zu. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Urteil findet auch in der aktuellen Podcastfolge von RECHTDISRUPTIV Eingang.

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

Legal Data Technology GmbH

vertreten durch den Geschäftsführer Tim Platner,

Heinz-Fangman-Straße 2-6,

42287 Wuppertal

Klägerin

gegen

R+V Allgemeine Versicherung AG vertreten

durch den Vorstand Dr. Edgar Martin,

Raiffeisenplatz 1, 65189 Wiesbaden

Beklagte

hat das Amtsgericht Wiesbaden

durch den Richter am Amtsgericht XXXXX

aufgrund der bis zum 03.08.2021 eingereichten Schriftsätze

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 201,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.01.2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleis­tung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicher­heit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf registrierte Rechtsdienstleisterin für den Bereich Inkassodienstleistungen. Sie bewirbt ihre Leistungen im Internet mit „Fullservice nach Fahrradunfall“ und übernimmt nach einer Online-Meldung durch Ge­schädigte die Kommunikation mit der gegnerischen Versicherung, für den Fahrradfahrer ohne Kostenrisiko. Für den Erfolgsfall erhält sie ein Erfolgshonorar Höhe eines Anteils des erstrittenen Schmerzensgeldes.

Die Kundin der Klägerin, die Zeugin XXX, erlitt mit ihrem Fahrrad auf dem Fahrradweg entlang der XXX Straße in Schwerin einen Verkehrsunfall, der durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten, XXX , bei der Ausfahrt mit einem dort versicherten Kraftfahrzeug von einem Grundstück herausfuhr. Es kam zum Unfall, bei dem das Fahrrad der Geschädigten beschädigt und sie verletzt wurde. Sie erlitt Prellungen am rechten Unterarm und am linken Knie sowie eine Rippen- und Tho­raxprellung und war unfallbedingt vom 02.12.2020 bis 20.12.2020 arbeitsunfähig.

Die Geschädigte beauftragte die Klägerin mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche und erteilte eine entsprechende Vollmacht. Außerdem vereinbarte sie mit der Klägerin die Abtretung des Freistellungsanspruchs hinsichtlich der entstehenden Rechtsverfolgungs­kosten und trat diese an die Klägerin ab. Hinsichtlich der Einzelheiten der Abtretungser­klärung der Geschädigten wird auf die Anlage K 2 (Bl. 14 der Akte) Bezug genommen. Die Annahme der Abtretung wurde durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.05.2021 ausdrücklich erklärt. Die Klägerin machte die Ansprüche aus dem Verkehrsunfall gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 26.01.2021 in Höhe von 126,90 € Reparaturkosten, einer Kosten­pauschale von 25,- € und eines Schmerzensgeldes in Höhe von 900,- € = 1.051,90 € mit Fristsetzung zum 09.02.2021 geltend. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 26.01.2021 (Bl. 91 der Akte) Bezug genommen. Die Beklagte zahlte diese Beträge ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Die mit gesondertem Schreiben vom 26.01.2021 (Bl. 91 der Akte) durch die Klägerin geltend gemachten entsprechend der Vorschriften des RVG berechneten Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von

201,71 € wurden nicht gezahlt. Insoweit wies die Beklagte die Ansprüche mit Schreiben vom 26.01.2021 zurück.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Haftung der Versicherungsnehmerin der Beklagten und dieser selbst ergebe sich daraus, dass ihre Kundin auch bei der Benutzung des Fahrradweges entgegen der Fahrtrichtung bevorrechtigt gewesen wäre. Auch unter Be­rücksichtigung eines Mitverschuldens sei der geltend gemachte Schmerzensgeldbetrag von 900,- € in Anbetracht der erlittenen Verletzungen und der Dauer der Arbeitsunfä­higkeit berechtigt.

Die Ansprüche der Geschädigten seien wirksam an sie abgetreten. Sie sei als Inkasso­dienstleister berechtigt, die Ansprüche geltend zu machen. Die Sachkunde im Einzelfall müsse nicht nachgewiesen werden. Sie ergebe sich aus dem bei der Registrierung als Rechtsdienstleister einzureichenden Befähigungsnachweis und dem Umstand, dass der Geschäftsführer der Klägerin das erste juristische Staatsexamen ablegte.

Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars sei neben der Gebührenvereinbarung bei Rechtsdienstleistern zulässig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 201,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.01.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der von der Kundin der Klägerin genutzte Fahrradweg sei entgegen der Fahrtrichtung nicht für Fahrradfahrer freigegeben gewesen. Hieraus ergebe sich die al­leinige Haftung der Kundin der Klägerin.

Die Abtretung sei nicht hinreichend bestimmt. Die Registrierung als Rechtsdienstleister rechtfertige die Geltendmachung der Forderung nicht. Sie gehe über die Inkassodienst­leistung und zugehörige Hilfsmaßnahmen voraus und sei der Kompetenzen eines Rechtsdienstleisters nach §§134 BGB, 2 Abs. 1,3, 5,10 Rechtsdienstleistungsgesetz (RGG) unwirksam.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird ergänzend auf die ge­wechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Geschädigten stand gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer der Schädigerin XX und ihres Fahrzeuges mit dem Kennzeichen XXX ein Anspruch auf Ersatz von 2/3 des entstandenen Sachschadens sowie ein Schmerzensgeld i.H.v. 900 € zu (§§ 7 Abs. 1, 2 StVG, 115 VVG).

Der Übergang des Anspruchs auf Erstattung der durch die Geltendmachung der Forde­rung entstandenen Rechtsverfolgungskosten die Klägerin ergibt sich aus der Abtre­tungserklärung der Unfallgeschädigten vom XXX. welche von der Beklagten an­genommen wurde. Das Gericht legt die Erklärungen trotz des unglücklich gewählten
Wortlautes dahingehend aus, dass die Ansprüche der Unfallgeschädigten jedenfalls in Höhe der entstandenen Vergütung abgetreten wurden.

Der Anspruch der Geschädigten umfasst nicht nur die materiellen Ansprüche auf Ersatz des ihr bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schadens sowie auf Schmerzensgeld, sondern auch die ihr für die Geltendmachung des berechtigten Anspruchs entstandenen Rechtsverfolgungskosten.

Das Gericht geht zunächst aufgrund des Parteivortrags davon aus, dass die Geschä­digte den Fahrradweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung benutzte. Die Klä­gerin hat als für die Voraussetzungen ihres Anspruches darlegungs- und beweispflich­tige nicht bewiesen bzw. Beweis dafür angetreten, dass der Fahrradweg auch in der entgegengesetzten Richtung befahren werden kann. Beim Zusammenstoß eines aus einer Ausfahrt herausfahrenden Fahrzeugs mit einem einen Fahrradweg entgegen der Fahrtrichtung nutzenden Fahrradfahrer geht das Gericht von einem Mitverschulden des Fahrradfahrers in Höhe eines Drittels aus. Auch wenn die Bestimmung in § 2 Abs. 4 S. 2 StVO ausschließlich den Gegen- und Oberholverkehr auf dem Radweg schützt, hätte die Geschädigte bedenken müssen, dass Kraftfahrer nicht nur im Bereich einmündender untergeordneter Straßen, sondern auch bei der Ausfahrt aus einem Grundstück nach rechts mit Verkehr von rechts häufig nicht rechnen. Die Geschädigte hätte deshalb be­sonders vorsichtig sein müssen, um sicherzugehen, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten sie bemerkte und das ihr zukommende Vorrecht beachten würde. Erfor­derlich hierzu war eine langsame Fahrweise und ein Blickkontakt zum Autofahrer und gegebenenfalls Anhalten oder Schieben des Rades.

Höher zu bewerten war allerdings der Verstoß der Versicherungsnehmerin der Beklag­ten, die gegen die aus § 10 S. 1 StVO ihr obliegenden Pflichten verstoßen hat. Sie durfte nur aus dem Grundstück ausfahren, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteil­nehmer ausgeschlossen war. Sie musste auch mit nicht verkehrsgerechtem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer rechnen und war in jedem Fall verpflichtet, auch wegen möglicher berechtigter Fahrbahnnutzer, wie zum Beispiel Rollstuhlfahrer oder Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr, auch nach rechts zu schauen. Dieser Verstoß war unter Einbeziehung der Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges im Rahmen der Gesamtwürdigung mit zwei Dritteln zu berücksichtigen.

Auch unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Geschädigten erscheint ein Schmerzensgeld in Anbetracht der erlittenen Verletzungen sowie der Dauer der attes­tierten Arbeitsunfähigkeit in der geltend gemachten Höhe von 900,00 € als gerechtfer­tigt.

Hieraus ergibt sich, dass die Rechtsdienstleistungsgebühren nach einem zutreffenden Gegenstandswert berechnet wurden. Berechtigt war nach dem oben Gesagten ein Schmerzensgeld i.H.v. 900 € und ein Anspruch auf Ersatz von 2/3 des Sachschadens mit weiteren 101,27 €, also aus ein Gesamtbetrag in Höhe von 1001,27 €.

Mangels eines Gebührensprunges zwischen diesem Betrag und dem geltend gemach­ten Anspruch von 1051,90 € wurden die Rechtsanwaltsgebühren Klägerin zutreffend mit einer 1,3 -fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer i.H.v. 201,71 € berechnet und können von ihr entgegen der Auffassung der Beklagten auch geltend gemacht werden.

Die Klägerin war als Rechtsdienstleisterin auch berechtigt, die Ansprüche für die Ge­schädigte geltend zu machen. Das Gericht schließt sich der vom BGH in der Entschei­dung vom 27.11.2019 (VIII ZR 285/18-Juris) vertretenen Rechtsauffassung an, dass ein zugelassener Inkassodienstleister nicht nur eine schlichte Mahn- und Beitreibungstätig­keit betreiben darf, sondern vielmehr die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchset­zung fremder Rechte oder Vermögensinteressen wahrnimmt und beim Forderungsein­zug in all seinen Formen auch Rechtsberatung leisten kann. Der Einsatz der verlangten und bei der Registrierung überprüften und für genügend befundenen Sachkunde ge­nügt. Es war deshalb nicht im Einzelfall zu prüfen, ob der Sachverhalt besondere Schwierigkeiten aufweist. Einen Grund zu unterscheiden zwischen der Tätigkeit in miet­rechtlichen Angelegenheiten oder in Verkehrsunfallsachen besteht nicht. Die Koppelung von einem Erfolgshonorar einerseits sowie dem Anspruch auf Zahlung der Rechts­dienstleistungsgebühren in Höhe der anwaltlichen Vergütung ist entgegen der Auffas­sung der Beklagten ebenfalls unbedenklich. Ein gesetzliches Verbot besteht, anders als bei Rechtsanwälten, gerade nicht. Für eine analoge Anwendung ist kein Raum, da der Gesetzgeber in Kenntnis der Regelung im RVG keine entsprechende Regelung im Be­reich der Inkassodienstleister in das Gesetz aufgenommen hat.

Der Zinsanspruch folgt aus dem Verzug der Beklagten (§§ 288, 286, 280 BGB). Verzug trat aufgrund der endgültigen Ablehnung der Ansprüche durch die Beklagte im Schrei­ben vom 26.1.2021 spätestens mit Zugang der Erklärung bei der Klägerin auch ohne Mahnung ein.

Die Beklagte hat als Unterlegene die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. ZPO). Das Urteil war gemäß § 708 Nr. 11 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklä­ren. Die Entscheidung über die Abwendungsbefugnis beruht auf § 713 ZPO.

Die Berufung war auf den Antrag der Beklagten zuzulassen, da es, soweit erkennbar, zur Frage der Zulässigkeit von Rechtsdienstleistungen im Bereich der Abwicklung von Verkehrsunfällen noch keine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung gibt.

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